Lange Zeit lebten die Ritter von Rannariedl friedlich auf ihrer Feste. Doch eines Tages zog eine wilde Horde heran und begehrte Einlaß. Die Raubgesellen forderten die Übergabe der Burg und versprachen dafür, den Bewohnern freien Abzug zu gewähren. Auf dieses unsichere Versprechen ließ man sich nicht ein, sondern rüstete sich zur Verteidigung. Der Angriff ließ auch nicht lange auf sich warten. Die wilde Horde kam mit Mauerbrechern und Wurfmaschinen angerückt, und bald darauf flogen die ersten brennenden Pechkränze über die Zinnen. Am Abend gelang ihnen der Einbruch. Nun begann ein grausiges und erbarmungsloses Metzeln, dem nur zwei Burgbewohner entkamen: das jüngste Söhnchen der Rittersfamilie und eine Magd. Die beherzte Magd huschte mit dem Kind unbemerkt ins Freie und gelangte an die Donau. Im Feuerschein der brennenden Burg, die sich im Wasser spiegelte, sah sie eine Zille am Donauufer liegen. Schnell legte sie das Kind hinein. Während sie noch versuchte, den Kahn ins Wasser zu bringen, wurde sie von Wächtern der Raubhorde entdeckt. Bevor sie ergriffen wurde, stieß sie das Boot mit letzter Kraft in die Fluten.
Im Morgengrauen sah unweit des Schlosses Haichenbach ein alter Fischer den Kahn in Ufernähe dahertreiben. Es kostete ihn wenig Mühe, mit einer Stange Kahn und Fracht zu bergen. Er nahm den schlafenden Knaben und trug ihn aufs Schloß. Die Herrin von Haichenbach, die wegen ihrer Kinderlosigkeit tief betrübt war, stieß einen Freudenschrei aus, sah in dem Knaben ein Geschenk des Himmels und wurde ihm eine liebende Mutter.
Das zerstörte Rannariedl verfiel. Im Volke hielt sich jedoch das Gerücht, in den Ruinen müssten noch Schätze verborgen sein, weil die räuberische Horde nicht die erhoffte reiche Beute gemacht hatte. Mehrmals versuchten Leute, im Gemäuer die Schätze zu finden, doch wurden sie alle von einem Gespenst vertrieben.
Als der junge Haichenbacher zum Ritter geschlagen war, zog auch er nach Rannariedl, um den Schatz zu heben. Er wollte es in seiner jugendlichen Kühnheit mit jedem Gespenst aufnehmen – nicht ahnend, dass er sich in der Stätte seiner Geburt befand. Schon nach kurzem Suchen erschien ihm das Gespenst, aber gar nicht so grausig und furchterregend, sondern eher einladend. Es bewegte sich langsam weiter, und der Ritter folgt ihm über Trümmer und halbverschüttete Treppen bis in einen Raum, wo sich die Erscheinung umdrehte und rief: „Dies alles ist dein, Herr von Rannariedl! Du bist kein Haichenbacher, du bist der Erbe dieser Schätze!“
Die Erscheinung verschwand. Vor dem jungen Ritter aber standen Truhen, deren Deckel aufgesprungen waren und die eine Fülle von kostbarem Geschmeide bargen. Da sank der Mann in die Knie und faltete erschüttert die Hände.
Als er nach Haichenbach zurückgekehrt war, gestanden ihm die Zieheltern, dass er nicht ihr eigener Sohn sei. Sie erkannten in ihm einen Sproß von Rannariedl. Nun ermunterten sie ihn, die Burg seiner Väter neu erstehen zu lassen. Dies machten die geborgenen Schätze möglich. Weil jedoch die Mauern der Ruinen schon sehr brüchig waren, wurde die neue Burg unweit der alten erbaut. Es ist das Schloß Rannariedl, das heute noch ins Donautal herabgrüßt.
Die Burg Rannariedl wurde urk. 1268 erstmals erwähnt. 1357 wurde sie vom Passauer Bischof gekauft. Im Besitze der Passauer Bischöfe musste sie bis ins 15. Jhd. mehrmals verpfändet und schließlich verkauft werden. Seither hat die Burg oftmals den Besitzer gewechselt. 1965 gelangte sie zur Versteigerung.Oberhalb der heutigen Burg liegen die Ruinen der ersten Burganlage, die sogenannte Bastei.