Das Pfarrsiegel von Gottsdorf

Vor vielen Jahrhunderten sollte in dem weiten Gebiet zwischen Pfarrkirchen im Mühlkreis und Hafnerzell im Bayernland, ein Gotteshaus errichtet werden. Oft versammelten sich die Einwohner zur Beratung, um über den Standort der Kirche zu entscheiden. Auf das inständige Drängen der Leute von der Ranna wurde schließlich Neustift als Kirchenbauplatz bestimmt. Heute noch können die Neustifter den Platz (Haus Dorfner Nr. 57) zeigen, wohin damals das Gotteshaus gebaut werden sollte - wenn sich nicht ein außergewöhnliches
Zeichen gegen diesen Plan gestellt hätte.
Als im Frühjahr die Saaten den ersten grünen Anflug zeigten und die meiste Feldarbeit beendet war, strömten an Wochentagen alle/zur Robot eingeteilten Untertanen nach Neustift zum Kirchenbau. Die Fundamente wurden in die Erde versenkt, Steinquader zurechtgehauen und die Ziegel aus Lehm geschlagen. Maurer und Zureicher klagten stets, daß  die Arbeit trotz größter Anstrengung nur langsam voranginge. Baumriesen wurden in den Wäldern gefällt und nach Neustift geschleppt. Die Zimmerleute stellten sich ein, die aus runden Langholzstämmen kantige Balken hacken mußten. Auch ihnen war bei der Arbeit gar nicht recht wohl. Eines Tages verletzte sich einer von ihnen ganz entsetzlich mit dem Beil. Das Blut rieselte von der gräßlichen Wunde in die frischen Hackspäne auf dem Kirchenbauplatz. Nach langem Bemühen gelang es den Männern doch, den Blutfluß zu stillen. Als sie die Wunde verbunden hatten und den Verletzten zum nächsten Haus forttrugen, flog ein Rabe auf die Unglücksstätte. Wild zauste er in den blutigen Spänen. Die Arbeiter, des schwarzen Vogels gewahr, stürzten herbei, um ihn zu verscheuchen. Unerschrocken packte der Vogel mit dem Schnabel etliche blutige Späne und flog damit in Richtung Gottsdorf davon. Einige der Umstehenden, denen das sonderbare Gehaben des Raben keine Ruhe ließ, verfolgten ihn während seines Fluges. Über Gottsdorf ließ  der Vogel die blutigen Späne fallen. Als die Leute das sahen, eilten sie nach Neustift zurück und berichteten über das Vorgefallene. Die Arbeit wurde hierauf eingestellt. Alle traten zusammen und berieten, was die Tat des Vogels bedeuten könnte. Bald waren sie einhellig der Meinung, daß  der Kirchenbau in Neustift dem Himmel nicht genehm sei. Gottsdorf mußte wohl der rechte Ort sein, weil der Rabe die Späne dorthin verschleppt hatte.
Noch im gleichen Jahr wurde in Gottsdorf an der Stelle, wohin der Vogel die blutigen Späne getragen hatte, mit dem Bau der Kirche begonnen. Dort gelang die Arbeit vortrefflich. In das Kirchensiegel dieser Pfarre wurde das Bild des Raben aufgenommen, der so entscheidend auf die Absichten der Menschen Einfluß  genommen hatte.
 

 


 
Erst seit dem Vertrag von 1765 zwischen der Kaiserin M. Theresia und dem Bischof von Passau ist das Gebiet von Rannanedl, Pühret und Neustift österreichisch. Pfarrlich blieb es jedoch auch nach diesem Vertrag noch bei Gottsdorf in Bayern. Well sich aber dieser Zustand auf die Dauer nicht halten konnte, wurde an eine Pfarrgründung auf österreichischem Boden geschritten. Den Streit ob Neustift oder Rannariedl Pfarrsitz werden sollte, entschied der Umstand, daß  die Kapelle des Schlosses Rannariedl als Pfarrkirche zur Verfügung gestellt wurde. 1783 erfolgte die Pfarrgründung von Rannariedl. Neustift, das nur eine kleine Dorfkapelle hatte, wurde zu der 1784 gegründeten Pfarre Oberkappel geschlagen. 1949-1953 wurde in Pühret eine Kirche erbaut und der Pfarrsitz von Rannariedl dorthin verlegt. 1951 erhielt Neustift eine Kirche, gehört aber nach wie vor zur Pfarre Oberkappel. Die Sage bezieht sich wahrscheinlich auf den Streit zwischen Neustift und Rannariedl um den Pfarrsitz.
Hafnerzell = Obernzell