Die Rannaburg

Vor der Mündung des Rannabaches in die Donau erhebt sich hoch über dem Strom die Burg Rannariedl. In alten Zeiten gab es viele Raubzüge und Kriege. Eines Tages zogen feindliche Kriegsscharen gegen die Burg Rannariedl, denn der Ritter verwahrte dort große Schätze. Dann begann die Belagerung. Bäume wurden gefällt, Mauerbrecher gebaut und Wurfmaschinen aufgestellt. Die Belagerer schossen Brandpfeile auf die Dächer der Burg. Die Knechte löschten, aber überall entstanden neue Brandherde. Das Wasser wurde knapp in der Burg. Als sich der Burgherr für eine Weile zur Ruhe legte, hatte er einen schrecklichen Traum. Die Burg stand in lodernden Flammen. Aber durch die Flammen hindurch glänzte der Goldschatz. Noch in derselben Nacht wurde dem Ritter ein Sohn und Erbe geboren. Nun war dem Ritter der Sinn des Traumes klar. Der Knabe war der Schatz, den es zu retten galt und nicht das gleißende Gold. Eine Magd musste das Kind retten. Er suchte dazu die Tochter eines Donaufischers aus. An der steilsten Stelle der Burg wurde die Magd mit dem Kind an ein Seil gebunden und in die Tiefe gelassen. Tastend suchte sie den Weg zum Strom. Schon war sie am Ufer der Donau. In der Nähe des Kahnes, mit dem sie die Rettung des Kindes ausführen wollte, brannte ein Lagerfeuer. Schnell hatte sie den Kahn erreicht. Geräuschlos stieg sie ein, legte das sorgsam eingehüllte Kind unter die Ruderbank, band den Kahn los und trieb auf den Strom hinaus. Als sie aus dem Dunkel in den Schein des Lagerfeuers geriet, wurde sie von den Feinden bemerkt. Sie schossen mit Pfeilen nach dem Kahn. Einer traf die Magd und sie sank in den nachtdunklen Strom. Das Boot trieb mit dem Kind flussabwärts. Noch in der gleichen Nacht brannte die Burg bis auf die Grundmauern nieder. Von den Bewohnern überlebte niemand. Jahre vergingen. Ein gutes Wegstück unterhalb der Rannaburg macht die Donau eine starke Biegung, genannt die Schlögener Schlinge. Auf der schmalen Landzunge stand die Burg Haichenbach. Der Schlossherr von Haichenbach und seine Frau hatten keine Kinder. Ein Fischer hatte den Knaben im angetriebenen Kahn am Donauufer gefunden. In aller Heimlichkeit hatte er das armselige Bündel dem Ritter und seiner Frau gebracht, die den Findling als ihren Sohn annahmen. Der Knabe wuchs zu einem stattlichen Jüngling heran. Seine Zieheltern beschlossen, den jungen Mann an den Fürstenhof zu schicken. Dort solle er in den ritterlichen Tugenden und im Kriegshandwerk ausgebildet werden. Nach drei Jahren empfing er den Ritterschlag und erhielt als Zeichen der Ritterwürde das Schwert mit dem Wehrgehänge und den goldenen Sparen. Nun kehrte er heim nach Haichenbach. Im Lande ging das Gerücht, dass beim Brand der Rannaburg reiche Schätze verschüttet worden seien. Keinem war es bisher gelungen, diese zu entdecken. Ein Schutzgeist, so hieß es, vertrieb die Schatzsucher, stürzte Mauertrümmer auf sie, sodaß schon mancher, der den Schatz heben wollte, nicht mehr zurückgekehrt war. Der junge Ritter wollte es auch versuchen. So ritt erdennn nach Rannariedl. Er stieg über Mauerreste und Balken hinweg in den Burghof und weiter in den Zwinger. Dort stöberte er im Geröll und schob es beiseite. Da entdeckte er eine Tür, brach sie auf und fand eine enge Treppe, die steil nach unten führte. Plötzlich stand vor ihm ein eisgraues Männlein mit langem Bart. Das sprach zu ihm: “Ich habe lange auf Dich gewartet, ich wusste, dass Du kommen würdest!“ „Wer seid Ihr, was macht Ihr hier?“ „Das tut nichts zur Sache“, antwortete das Männlein. „Du musst erfahren, wer Du bist. Hör zu: Du bist der Sohn des Ritters von Rannariedl, Her und Erbe der Rannaburg. Du sollst diese Burg wieder aufbauen, schöner und größer, als sie jemals war. Das ist das Vermächtnis Deines Vaters, der in diesem Boden ruht. Und nun will ich Dir zeigen, was Du suchst!“ Das Männlein ergriff eine Fackel und führte ihn zu einer niedrigen Kammer. Dort hob es ein Tuch vom Boden und darunter glänzte ein Schatz. „Ich habe alles für Dich aufbewahrt“, sagte das Männlein, „denke nun an das Vermächtnis deines Vaters!“ Der Jüngling ritt heim nach Haichenbach. Als sich der erste Begrüßungssturm gelegt hatte, erzählte er den Eltern sein Erlebnis. Ja, er sei ein Findelkind, bestätigten die Eltern, und der Kahn, in dem ihn der Fischer gefunden habe, trug das Zeichen von Rannariedl.