Isa vom Jochenstein

Im Donautal bei Engelhartszell liegt der Jochenstein. Inmitten des Strombettes ragt dieser Felsblock aus den Fluten der Donau. Er soll die höchste Zinne eines Schlosses sein. Das Schloß gehört der schönen Nixe Isa, die es mit einer großen Schar holder Wassernixen bewohnt. Es gleicht in seinem Innern einein herrlichen Palast. Die prachtvollen Gemächer sind mit Gold, bunten Muscheln und Perlen ausgekleidet. Durch kristallklare Fenster dringt der Schimmer der vorüberflutenden Wassermassen. Die Brüstungen der Terrassen glit-zern und gleißen edelsteinbesetzt, daß bei geringem Wasserstand des Nachts das Leuch-ten selbst an die Wasseroberfläche dringt. Einmal im Jahr tauchte einst Isa aus den Fluten der Donau empor. Neugierde trieb sie aus ihrer märchenhaft schönen Behausung ins Reich der Menschen. Wenn in mondhellen Sommernächten ein Leuchten den Jochenstein umspielte, schaute Isa von der höchsten Zinne ihres Schlosses ins Donautal. Geblendet vom silbernen Mondschein rieb sie sich immer wieder die Augen, während sie ins Tal hin-auf- und hinunterblickte, um festzustellen, was sich seit ihrem letzten Auftauchen verän-dert hatte. Die Fischer hatten von Isa nichts Böses zu befürchten, denn sie war keineswegs so ver-führerisch wie manch andere Wassernixe. Sie stand im Ruf, die schönste aller Wasserni-xen zu sein. Wer nach ihr forschte, konnte sie nur in einer einzigen Nacht des ganzen Sommers auf dem Jochenstein entdecken. Jedem Neugierigen wurde aber der Anblick zum Verhängnis. Gebannt und betört von ihrer Schönheit mußte der Fürwitzige Nacht für Nacht zum Jochenstein rudern. Doch erst nach einem Jahr zeigte sie sich dem Sucher wieder. So war es einst auch einem jungen Fischer ergangen. Lange beobachteten, die Dorfbe-wohner sein sonderbares Gehaben. Stets war er still und verschlossen und mied jede Ge-sellschaft. Zur Nachtzeit zog es ihn an den Strom. In einer lauen Sommernacht stand der Mond silbern am Himmel. Über dem Tal lag tiefe Stille. Da rannte durch die taufeuchten Wiesen behend eine Gestalt zum Ufer. Es war der junge Fischer. Nach ein paar kräftigen Ruderschlägen schaukelte er in seinem Boot draußen im Strom. Nun ließ er die Ruder hängen, und die Strömung trieb ihn gemächlich zum Jochenstein hin. Immerzu starrte er auf den Felsen. Dort wartete, in zauberhaftes Licht gehüllt, die schöne Isa auf den Fischer. Er wagte kaum die Augen auf sie zu richten, so strahlend schön war die Nixe. Diesmal blickte Isa mit Wohlgefallen auf ihn. Sie beugte sich zu ihm nieder, reichte ihm die Hand und führte ihn auf den Felsen. Glückstrahlend folgte ihr der Fischer. Ein Tor in der Fels-wand tat sich auf und gab den Weg zum Palast frei. Am Morgen trieb ein leeres Boot die Donau hinab. Im Dorf wurde vergeblich nach dem jungen Fischer geforscht — er blieb für immer verschollen.

 

 

Der Jochenstein gehört zur Ortschaft und Gemeinde Engelhartszell, liegt an der Westgrenze des Bezirkes Rohrbach und bildet einen natürlichen Grenzstein zwischen Bayern und Osterreich. In den Fels ist darum auch das Wappen der zwei Länder gemeißelt. Auf dem Felsen befindet sich eine kleine Andachtskapelle mit der Statue des heiligen Nepomuk (aus dei Zeit um 1780), des Schutzpatrons der Schiffsleute. Die Felsgruppe hat eine Länge von zirka zehn Metern und ist etwa fünf Meter breit.